Da habe ich die wöchentlich gelaufenen Kilometer doch zu schnell hochgedreht. Das rechte Schienbein wollte am dritten Tag beim Etappenlauf nach Rügen nicht mehr mitspielen. Ich kenne die Beschwerden des Schienbeinkantensyndroms, auch Shin Splints genannt. Denn ich hatte sie schon zweimal. Es ist eine Entzündung der Sehnen, die vom vorderen Schienbeinmuskel zu den Füßen, bis zu den Zehen führen. Das ist zwar unangenehm und schmerzt etwas, ist aber in der Regel nach einigen Wochen wieder auskuriert. Aber der Reihe nach:
55 Kilometer in sommerlicher Hitze
Es ist schon recht warm, als ich am 11. Juli 2016 gegen 5:40 Uhr den Laufrucksack schultere und die erste von fünf Etappen auf dem Weg nach Rügen unter die Füße nehme. Insgesamt stehen für mich rund 290 Kilometer auf dem Programm – ein Etappenlauf (fast) ohne Luxus, denn mein Gepäck muss ich selber tragen. Die Wetterpropheten hatten hohe Temperaturen voraus gesagt. Also will ich mich so früh wie möglich auf die 55 Kilometer lange Etappe machen. Tagesziel ist für heute die kleine Stadt Biesenthal im Landkreis Barnim.
Die Route ist unspektakulär, denn ich kenne die Strecke schon von vielen Trainingsläufen. Sie führt mich rund anderthalb Stunden durch den Grünauer Forst und Grünau nach Köpenick. Weiter geht’s entlang der Wuhle nach Ahrensfelde. Der Wuhlewanderweg ist bei Läufern und Radfahrern in Berlin beliebt, aber auch Hundeliebhaber nutzen ihn für die morgendliche Runde mit ihren Vierbeinern. Die Strecke im Wuhletal ist ganz leicht ansteigend. Ich muss mich noch an den sechseinhalb Kilo schweren Rucksack gewöhnen. Als Verpflegung habe ich einen Liter Wasser dabei, sechs Pellkartoffeln vom Vortag, einen Haferriegel, vier Beutel Porridge und eine Tüte Studentenfutter. Das muss reichen.
Es ist anstrengend und die steigenden Temperaturen machen die Sache nicht leichter. In Marzahn geht es vorbei an den Gärten der Welt, die für die Internationale Gartenschau IGA Berlin erweitert werden. Die Bauarbeiten sind noch in vollem Gange. Seit Monaten werden Drahtseile einer Seilbahn gespannt, die von Hellersdorf zum IGA-Gelände führen wird, wenn die Schau im April 2017 beginnt. Vier Stunden habe ich für diese ersten 30 Kilometer gebraucht. Das ist zwar langsam, aber ich bin zufrieden. Es treibt mich ja nichts. Ich habe Zeit, will nur irgendwann am Nachmittag in Biesenthal ankommen. Inzwischen ist es deutlich über 25 Grad bei strahlend blauem Himmel.
Laufen bei Hitze: Oben viel Wasser einfüllen, damit es sich gut läuft
Bald erreiche ich Ahrensfelde, laufe weiter Richtung Norden und überquere kurz vor Birkholz den Berliner Autobahnring. Die Sonne brennt schon mächtig vom Himmel, der Schweiß läuft in Strömen. Mir macht das nichts aus, denn ich bin es gewohnt, trinke alle zwanzig Minuten, einmal stündlich nehme ich eine Priese Meersalz dazu. Nach meiner Erfahrung funktioniert die Muskulatur dann besser. Doch jetzt habe ich nur noch wenig Wasser in den Trinkflaschen. Es wird höchste Zeit nachzutanken. An einem Einfamilienhaus spreche ich eine junge Frau an und darf meine Flaschen am Wasserhahn an der Hauswand auffüllen. Sie schaut mich ungläubig an, als ich ihr erzähle, wann ich am Morgen in Eichwalde gestartet bin und was mein Tagesziel ist.
Es sind nur noch wenige Kilometer bis nach Bernau. Dort will ich unbedingt einen Abstecher in die Altstadt machen. Außerdem habe ich Lust auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen. Beides bekomme ich am Marktplatz. Nach knapp 20 Minuten muss ich aber weiter. Bis nach Biesenthal habe ich noch gut elf Kilometer vor mir.
Vorbei geht es in Lobetal an den Wohn- und Werkstätten der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal für Menschen mit Behinderung. Die Landschaft ist jetzt offener, von urbaner Prägung ist seit Bernau nichts mehr zu sehen.
Moment mal: Hier war ich doch schon!
In ruhigem Trab geht es durch ein ausgedehntes Waldgebiet zur Langerönner Mühle. Irgendwie kommen mir die Gebäude, im Wald an einem See gelegen, bekannt vor. Ich erinnere mich, dass ich vor Jahren mit meinem ehemaligen Arbeitskollegen Alex aus Prenzlauer Berg schon mal hier war zum Laufen. Damals waren wir ebenfalls im Sommer unterwegs und genossen das anschließende Bad im Hellsee, der keine zwei Kilometer entfernt in der Nähe liegt. Aber die Langerönner Mühle ist auch aus anderen Gründen ein interessanter Ort:
„Zwei Kilometer nördlich befand sich bis 1990 ein hermetisch abgeriegelter Bereich – Langerönner Mühle –, der zum Teil durch die NVA, zum Teil durch das Ministerium des Innern der DDR genutzt wurde. Anwohner berichten von regelmäßigen Transporten per Ikarus-Bussen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Anreisende waren zumeist männliche Personen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren aus Afrika und Lateinamerika. Fraglich bleibt, ob das Gelände in diesem Zusammenhang teilweise zur militärischen Ausbildung von Guerilla-Truppen genutzt wurde“, schreiben Wikipedia-Nutzer.
Kurz hinter der Mühle entdecke ich ein Gerätehaus der Feuerwehr, das ich auf dem ersten Blick für eine Garage halte. Als Feuerwehrmann interessiert mich brennend, was wohl darin für den Einsatzfall bereitgehalten wird. Nun sind es nur noch knapp drei Kilometer zum Ziel der Etappe in Biesenthal. Die Strecke führt weiter durch den Wald, lichtet sich aber bald zu einer Feuchtwiese vor den Toren der Stadt. Nach acht Stunden und elf Minuten erreiche ich die kleine Pension und freue mich schon auf die Dusche, ein reichhaltiges Essen und ein Bett.
Die Sache mit dem reichhaltigen Essen hat leider nicht geklappt. Denn montags haben in Biesenthal alle Restaurants geschlossen. Zum Glück gibt es einen Bäcker und das „Café Auszeit“.
Hier geht’s zur Fortsetzung des Laufabenteuers.